Matthias Küntzel
Islamismus, Faschismus und NS
Nennen wirs Faschismus ohne Duce oder Führer, schlug im
März 2004, unmittelbar nach dem Terroranschlag von Madrid, der Herausgeber
der ZEIT, Josef Joffe, vor. Den Europäern fällt es schwer, in
den Spiegel des Islamo-Faschismus zu blicken und darin die Fratze der eigenen
Geschichte auszumachen. Im Taumel der Ignoranz, der dem Massaker von
Madrid folgte, war diese Kritik am europäischen Appeasement ein
Lichtblick. Joffe sprach vom religiös verbrämte(n)
Neofaschismus und stellte zutreffend fest: Wer den Tod mehr liebt
als das Leben, lässt sich weder abschrecken noch etwas abhandeln. .... Das
Ziel ist der apokalyptische Endsieg.
Mit der Bezeichnung Islamo-Faschismus wollte Joffe agitieren, also
seiner Warnung vor dem Appeasement Nachdruck verleihen. Inhaltlich blieb bei
ihm die Verbindung zwischen Faschismus und Islamismus diffus. Dabei weisen
beide Ideologien in der Tat Überschneidungen auf: Beide propagieren eine
organische Staatsordnung und das Führerprinzip. Beide setzten
an die Stelle von Klassenauseinandersetzungen die korporativistische
Arbeitsdiktatur. Beide mobilisieren als Sozialbewegung eine gemeinschaftliche
Identität, die das Individuum auszumerzen und noch den Zögernden als
Deserteur zu verfemen sucht.
Dessen ungeachtet ist das Schlagwort vom Islamo-Faschismus nicht nur ungenau:
Indem man die islamistische Rebellion unter eine Chiffre subsumiert, die am
vertrauten Europa klebt, wird die Spezifik islamistischer Ideologie und Praxis
geradezu verharmlost und das schier Unbegreifliche dieser Bewegung die
Absolutheit des religiösen Wahns oder die Archaik der weiblichen
Unterjochung semantisch zum Verschwinden gebracht.
Koran und Sharia
Gemessen an der Bedeutung, die Islamisten dem Koran beimessen, war der
Stellenwert von Hitlers Mein Kampf für die Nationalsozialisten
geradezu peripher. Hitlers Text war korrigierbar. So wurden in der arabischen
Übersetzung von Mein Kampf dessen antiarabische Tiraden mit Zustimmung des
Autors eliminiert. Der Koran ist für Islamisten hingegen sakrosankt. Er
gilt als das unmittelbar von Gott stammende Wort, das der Engel Gabriel dem
Propheten Mohammed im Laufe von rund 20 Jahren (612-632) in Mekka und Medina
überbrachte, als absolute Wahrheit und Maßstab jedweden Tuns. Zwar
werden in einschlägigen Koranschulen und djihadistischen Camps
ausschließlich die von Sayyid Qutb und anderen islamistischen
Führern ausgewählten Koranpassagen eingepaukt. Diese aber werden dann
vom ärmsten pakistanischen Kleinbauern bis zum promovierten Akademiker der
Hamas wortwörtlich genommen, ob es sich nun um die grenzenlose
paradiesische Befriedigung für Märtyrer handelt oder um die
Verwandlung von Juden in Affen oder Schweine. So konzentriert sich der mit
größter Ernsthaftigkeit geführte Theoriestreit im
Monatsmagazins der Hamas auf die Frage, ob sich die in Affen und Schweine
verwandelten Juden weitervermehren können oder als Zwitterwesen bald
sterben. Denn diese Frage beantwortet der Koran nicht.
(1)
Ebenso gilt die Scharia die Rechtsbestimmung aus dem Vorderen Orient des
siebten Jahrhunderts und die darin fixierte Rolle der Frau als das
wortwörtlich von Gott bestimmte Gesetz. Es gibt in der islamischen Welt
kein Land, in dem die Scharia nicht zumindest eine, wenn nicht so die
zentrale Forderung der Islamisten die einzige Quelle der Gesetzgebung
wäre. Von den drei Bevölkerungsgruppen, die die Scharia als
unfrei definiert, erhielten die Sklaven und die Dhimmis immerhin
eine Chance: Während erstere von ihren Herren zu freien Männern
erklärt werden konnten, konnten Juden und Christen durch Konvertierung zum
Islam Gleichberechtigung erlangen. Nicht so die Frau, die für Islamisten
immer unfrei und das Opfer männlicher Unterjochung geblieben ist. Zwei
Beispiele:
Kindesmissbrauch: Mohammed, das große Vorbild, heiratete die
sechsjährige Aischa im Alter von 50 Jahren. Drei Jahre später vollzog
er die Ehe mit ihr. Folgerichtig wurde im heutigen Iran das legale weibliche
Hochzeitsalter von 18 Jahre auf neun Jahre gesenkt.
Vergewaltigung: Bekanntlich legitimiert der Koran (Sure 4:23-24) die
Vergewaltigung von Sklavinnen explizit. Weniger bekannt ist, dass in
islamistischer Interpretation jede gefangen genommene Frau als Sklavin gilt:
Für Islamisten ist der gegenwärtige rape jihad im
sudanesischen Darfur religiös legitimiert.
(2)
Dessen ungeachtet wäre es verkehrt, den Islamismus dichotomisch
als das ganz andere von der westlichen Zivilisation
abzutrennen: Er stellt ebenso wie der Faschismus eine Bewegung der Moderne dar.
Allerdings entwickelte sich die Krise der 20er Jahre in einem Land wie
Ägypten, dessen Gesellschaft lediglich von einer Firnis der
Modernität überzogen war, vor einem anderen kulturellen und
intellektuellen Hintergrund als zum Beispiel in Italien und brachte deshalb mit
al-Bannas Islamismus und den Fasci di Combattimento, der
Kampfbündler-Bewegung Mussolinis, zwei durchaus unterschiedliche
Bewegungen hervor.
Islamismus und Faschismus
Der europäische Faschismus entsprang der Krise der bürgerlichen
Gesellschaft und setzte diese voraus. Infolgedessen präsentierte sich der
Faschismus als neuer Sozialismus und als totale
Revolution.Wir stehen für ein neues Prinzip in der Welt,
rief Mussolini 1926 aus. Wir stehen für die reine, kategorische und
definitive Antithese
zu der Welt, die sich immer noch mit den 1789
niedergelegten Grundprinzipien begnügt. ... Mich prägt der
Vorwärtsdrang. Ich bin jemand, der weitermarschiert.
(3)
Die islamistische Reaktion ist demgegenüber von der
Unterwerfung unter Gott gekennzeichnet und von der Ideologie des Salafismus
geprägt (as-salaf as-salih = die frommen Ältesten). Nach dieser Lehre
befinden sich alle gegenwärtigen Gesellschaften, mit Ausnahme der
islamistisch regierten, im Zustand jener Barbarei und Ignoranz (jahiliyya), die
vor Ankunft des Propheten auf Erden geherrscht haben soll. Nur wenn sich der
Islam erneut in die Fußstapfen der Altvordern um Mohammed aus dem 7.
Jahrhundert begäbe, werde sich dieser gottverlassene Zustand der Welt als
die letzte Stufe in der Vorgeschichte des kommenden und des einzig gerechten
Gottesreichs erweisen.
Die auch vom Faschismus verwendeten Topoi wie Sozialismus und
Revolution von arabischen Nationalisten wie den
Gründern der Baath-Partei begeistert übernommen gelten
Islamisten als typische jahiliyya-Werte. Für sie beinhaltet schon das
Konzept des charismatischen Führers als vorwärtsstürmende Kraft
eine Abkehr vom allmächtigen Gott, der alle menschlichen Geschicke nach
seinem Gusto lenkt. Diese Differenz wirkt sich auf den jeweiligen Charakter der
Produktivkraftentwicklung aus: Mussolini ließ nicht nur Antifaschisten
massakrieren, sondern auch die Sümpfe der Po-Ebene urbar machen und die
Automobilindustrie entwickeln. Der Islamismus ist demgegenüber an
Wissenschaft und Technik in erster Linie unter dem Aspekt ihrer Nutzbarmachung
für den Djihad interessiert. Während es dem Duce gar nicht schnell
genug gehen konnte (Der Faschismus ist ein Dynamo), vertrauen sich
Islamisten der göttlichen Fügung an. Ihr Zeitverständnis ist
epochal orientiert: Hamas-Gründer Achmed Yassin setzte den Zeitpunkt der
Auslöschung Israels auf das Jahr 2027 an 40 Jahre nach Beginn der
I. Intifada und der Gründung der Hamas.
Während also der Faschismus den längst bekannten Nationalismus
aufgriff, um ihn von den Ideen von 1789 zu befreien und als imperialistischen
Nationalismus zu neuen Höhepunkten zu führen, kontert der Islamismus
die Erfahrung westlicher Dominanz mit einem Konzept, das Mohammeds
Eroberungserfolge insbesondere durch Anknüpfung an dessen
Gesellschaftsmodell wiederholen will.
Ungeachtet dieser Unterschiede ist es müßig, sich über den
agitatorischen Wert der Bezeichnung Islamo-Faschismus zu streiten,
wird doch seit über 80 Jahren die Kennzeichnung faschistisch
als Schmähwort genutzt. Analytisch aber taugt das Wort nicht viel. Wem an
sprachlicher Präzision etwas liegt, könnte vielleicht von einer
semi-faschistischen Bewegung sprechen (semi =
halb oder teilweise), doch bliebe auch hier die
verharmlosende Konnotation bestehen. Trifft also das Wort vom
Islam-Nazismus besser den Punkt?
Islamismus und NS
Da mögen sich die gegenwärtigen islamistischen Bewegungen noch so
sehr in der Wolle liegen, durch einen Nenner sind sie alle geeint: Einem
Antisemitismus, der auf dem Phantasma von der jüdischen
Weltverschwörung basiert. Nehmen wir das Beispiel des Islamisten Scheich
Mohammed Sayyid Tantawi. Tantawi ist kein einfacher Prediger, sondern der
Leiter der Al-Azhar-Universität von Kairo und damit einer der
renommiertesten Geistlichen im sunnitischen Islam. Sein Standardwerk Das
Volk Israels im Koran und in der Sunna gleichzeitig seine
Doktorarbeit erschien 1997 in vierter Auflage. Die Juden, erklärt
darin Tantawi, haben die französische Revolution und die Oktoberrevolution
inszeniert. Sie haben den Ersten und den Zweiten Weltkrieg entfacht und davon
profitiert. Sie kontrollieren die Wirtschaft und die Medien der Welt. Sie
kämpfen für die Zerstörung von Moral und Religion und betreiben
Bordelle in aller Welt. Tantawi, der höchste sunnitische Theologe, zitiert
Adolf Hitlers Mein Kampf mit der Aussage: Indem ich mich des Juden
erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn. Er lobt die
Protokolle der Weisen von Zion und berichtet ohne eine Spur des Bedauerns,
dass nach Veröffentlichung der Protokolle in Russland ca. 10.000
Juden getötet worden seien.
(4)
Diese Protokolle sind in der Tat ein Kriegswerkzeug. Sie
projizieren alle vermeintlichen Übel der Moderne auf einen einzigen Feind
und teilen die Welt manichäisch auf: Hier das bedrohte Gute, dort das
jüdische Böse. Entweder Vernichtung des Bösen oder eigener
Untergang. In Russland lösten die Protokolle Pogrome aus, in Deutschland
waren sie der Leitfaden zum Holocaust: Kein anderer Text hatte Hitlers
Judenpolitik maßgeblicher geprägt.
(5) Dennoch ist mit
Ausnahme des Koran kein anderes Buch in der arabischen Welt heute ähnlich
einflussreich wie Die Protokolle der Weisen von Zion. Mittlerweile wurde dieser
Leitfaden Adolf Hitlers nicht nur in 60 unterschiedlichen arabischen
Buchausgaben veröffentlicht, sondern mehrfach auch als Spielfilmserie
popularisiert. Den Anfang machte das ägyptischen Staatsfernsehen, das eine
41-teiligen Verfilmung der Protokolle während des Ramadan 2002 zur besten
Sendezeit ausstrahlte. Mehr als 20 Fernsehstationen in der arabischen Welt
haben diese antisemitische soap opera später übernommen. Zum Ramadan
2003 folgte eine noch blutrünstigere Verfilmung der Protokolle in 29
Teilen, die der Hisbollah-Sender Al-Manar mit Unterstützung syrischer
Stellen produzieren und danach per Satellit in alle Welt ausstrahlen
ließ.
(6)
Vordergründig sind somit in diesem Punkt und in dieser Logik
Vernichtung des Bösen oder eigener Untergang die islamistische und
die nationalsozialistische Ideologie identisch. Und doch besteht in der
Bestimmung jenes Bösen zwischen beiden Ideologien ein
Unterschied, der erneut auf die differenten historischen Voraussetzungen beider
Bewegungen verweist: Während die Islamisten Charles Darwins
Evolutionstheorie als einen jüdisch inspirierten Angriff auf den Koran
interpretieren, da die wahre Schöpfungsgeschichte nur im Koran nachzulesen
sei, baut der biologistische Determinismus der Nazis auf dem rassistischen
Muster des Sozialdarwinismus gerade auf: Der Nationalsozialismus hat das
Phantasma von der Weltverschwörung mit der Utopie der Rassenhierarchie
verknüpft. Der biologistische Rassismus trieb die Deutschen dazu an, auch
noch das letzte jüdische Baby aus Norwegen und den letzten jüdischen
Greis von Rhodos deportieren und in Polen vergasen zu lassen. Diese Praxis und
ihr ideologischer Kontext bleiben singulär.
Demgegenüber haben islamistische Antisemiten, die solche biologistischen
Zuschreibungen nicht kennen, Juden eine zumindest physische
Überlebenschance offeriert, sofern diese sich zur Konversion oder zur
völligen Unterwerfung bereit erklärten. So verspricht die Charta der
Hamas, gefügige Juden unter dem Schutz des Islam tolerieren zu
wollen: Die Hamas sei nur mit dem verfeindet, der sich ihr in den Weg
stellt. Und selbst das iranische Mullah-Regime erkennt Juden in seiner
Verfassung als zugelassene religiöse Minderheit an, wobei freilich jedes
Mitglied der iranischen jüdischen Gemeinde, das sich nicht
hundertprozentig in den Dhimmi-Status fügt oder gar den Verdacht
pro-israelischer Sympathien auf sich zieht, als vogelfrei gilt.
(7)
Und doch haben es die Islamisten keineswegs nur auf diejenigen
abgesehen, die sich ihnen nicht unterwerfen wollen, wie es die Hamas-Charta
beschönigend suggeriert. Denn das Dhimmi-Zeitalter gehört in
zweifacher Hinsicht der Vergangenheit an. Einerseits gibt es heute kaum Juden,
die jene Kastenunterschiede aus der islamischen Vergangenheit zu schlucken
bereit sind. Andrerseits hat sich der islamistische Judenhass seit den 30er
Jahren grundlegend paranoisiert und dem nazistischen Antisemitismus weitgehend
angenähert.
Denn inzwischen hat der Islamismus nicht nur das Phantasma der
Weltverschwörung, sondern auf spezifische Weise auch den europäischen
Rassismus adaptiert. So schreibt der Islamismus den Juden wenn auch keine
biologistischen Merkmale, so doch soziale Eigenarten zu, die
unveränderlich seien, und die das jüdische Verhalten für alle
Zeiten bestimmten. Zu den wichtigsten Dokumenten dieses Rassismus gehört
der in der gesamten islamischen Welt verbreitete Aufsatz Unser Kampf mit
dem Juden, den Sayyid Qutb, der wichtigste Ideologe des Islamismus, 1950
veröffentlichte. Qutb zufolge seien die Juden von ihrem ersten Tag
an ... die Feinde der muslimischen Gemeinschaft gewesen und hätten
ihren Krieg gegen den Islam in beinahe vierzehn Jahrhunderten nicht
für einen einzigen Moment unterbrochen. Qutb machte verkappte
Juden selbst unter den Moslems aus: Jeder, der diese
Gemeinschaft von seiner Religion und seiner heiligen Schrift wegführt,
kann nur ein jüdischer Agent sein, ob er dies nun bewusst oder unbewusst,
willentlich oder unwillentlich tut.
(8)Auch das schon
erwähnte Standardwerk von Scheich Tantawi schreibt Juden
unveränderliche Eigenschaften zu, wie beispielsweise das Brechen von
Verträgen und Bündnissen, die Gier nach dem Leben und dem
Diesseits, Selbstsucht, übermäßiger
Egoismus oder Heuchelei.
(9)
Den eindeutigsten Beleg für die Annäherung der Islamisten
an den Antisemitismus des NS stellte deren Haltung zum Holocaust dar: Wer Juden
als ein Weltübel bezeichnet und vernichten will, kann Hitlers
Endlösung schlecht kritisieren. Stattdessen wird nach
außen die Vernichtung der europäischen Juden verleugnet, im Geheimen
jedoch als Quelle der Inspiration genutzt: als eine Art Präzedenzfall, der
beweist, dass es geht, dass man Juden millionenfach ermorden kann.
Ziel des Islamismus ist die Beherrschung der Welt, die dem Islam freiwillig
beitreten darf oder gewaltsam zu erobern ist. Sein wichtigster Widersacher ist
die westliche Welt und deren Zivilisation. Die Juden werden nicht zu Unrecht
als eine Avantgarde dieser Zivilisation betrachtet, weshalb Islamisten in ihnen
die zuerst zu vernichtenden Todfeinde sehen. Dass letztlich alle
Ungläubigen im Visier der Islamisten stehen, demonstrierte Osama bin Laden
im Oktober 2002 in seinem Brief an Amerika. Warum werden die
Amerikaner in diesem Brief als die schlimmste Zivilisation
bezeichnet, die die Menschheit je gesehen hat? Weil so
fährt der Brief fort, ihr die Nation seid, die, anstatt mithilfe von
Allahs Scharia und seinen Verfassungen und Gesetzen zu regieren, die Wahl
getroffen hat, eure eigenen Gesetze nach eurem Willen und euren
Bedürfnissen zu schaffen.
(10) Gottesherrschaft oder
Untergang so lautet die islamistische Alternative. Der Islamismus hat
den biologischen Rassismus der Nazis durch eine Art theokratischen Rassismus
ersetzt, der auf das Paradigma von völkischer Überlegenheit und
Euthanasieprogramm nicht angewiesen ist und Juden als die vermeintliche Wurzel
allen weltlichen Übels gleichwohl vernichten will.
Relativierung der Schoa?
Diese Unterschiede mit Wortbildungen wie moslemischer Nazi, Islamnazi oder
Umma-Sozialismus verwischen zu wollen, halte ich für falsch, zumal auch
die agitatorische Funktion dieser Zuschreibung durchaus zweifelhaft ist. In den
Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus wird die Schoa relativiert. Schon
jetzt sind in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus derartige
Relativierungen Legion, etwa wenn der amerikanische Publizist Paul Berman die
Tötungen in einem industriellen Maßstab zu einem
Motiv unserer Zeit erklärt, wenn Clemens Nachtmann das South
Manhattan des 11. September als Freiluft-Vernichtungs-KZ
charakterisiert, ganz ohne Auschwitz-Brimborium, oder wenn Alice
Schwarzer davon plaudert, dass sie die Islamisten für noch
gefährlicher (hält) als die Nazis, weil sie wirklich im
Weltmaßstab operieren. Der deutsche Flächenbrand hatte ja noch
Grenzen.
(11)
Demgegenüber ist erstens daran zu erinnern, dass die Schoa die bis heute
extremste Form genozidaler Pathologie darstellt, weil die Vernichtung total war
und weil jeder Mensch, den die Nazis als Juden definierten, getötet werden
sollte, und zwar unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit oder
seinem Verhalten und überall auf der Welt. Zweitens ist die
Realisierbarkeit jedweder Vernichtungsandrohung auch eine Frage der Macht. Dass
die iranischen Mullahs Israel in eine radioaktive Wüste verwandeln und auf
diese Weise etwas Ähnliches wie Auschwitz wiederholen wollen, macht die
Bedeutung der Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm aus. Noch fehlt
dem Islamismus das materielle und das militärische Potential, das es ihm
erlaubte, mit der systematischen Vernichtung seiner Gegner zu beginnen.
Anstatt das Verhältnis zwischen Islamismus und NS semantisch übers
Knie zu brechen, sollte dieses besser historisch nachgezeichnet und in das
Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Dass es die Nazis waren, die dem
Islamismus in seiner Entstehungsphase die entscheidenden Stichworte und die
fehlenden Geldscheine lieferten, gehört nicht zufällig zu jenen
Themen, über die man gerade in Deutschland nichts wissen will. Ein
Standardwerk der deutschen Politikwissenschaft, der 1981 von Karl Kaiser und
Udo Steinbach herausgegebene Sammelband Deutsch-arabische Beziehungen, steht
hier für den Trend: Während das erste historische Kapitel mit dem
Jahr 1914 abschließt, setzt das zweite im Jahre 1960 an.
Heute passt der deutschen Außenpolitik eine Thematisierung dieser
Zusammenhänge vor dem Hintergrund privilegierter Beziehungen zum
Islamismus und zur arabischen Welt noch weniger in den Kram. Schließlich
rückt, wer die Initialzündung des Nationalsozialismus für den
islamischen Antisemitismus thematisiert, nicht nur die deutsch-europäische
Ignoranz gegenüber diesem Antisemitismus in ein neues Licht, sondern wirft
gleichzeitig die Frage nach den verborgenen Motiven dieser Ignoranz und dieser
Tabuisierung auf. Doch auch die globalisierungskritische Linke hat allen Grund,
die Aufklärung dieser Zusammenhänge wie der Teufel das Weihwasser zu
scheuen, würde doch der analytische Blick auf die Geschichte beweisen,
dass ihr Beifall für Islamisten wie Tariq Ramadan, Yusuf Qaradawi und die
Hamas nicht als Antirassismus und schon gar nicht als
Antifaschismus verkauft werden kann.
Die historische Verbindung
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand
(12)ist auf mindestens drei
Gebieten eine spezifische Beziehung zwischen NS und Islamismus oder NS und
islamischem Antisemitismus evident:
Erstens hinsichtlich der Verbreitung des europäischen Antisemitismus in
der arabisch/islamischen Welt. Das Phantasma von der jüdischen
Weltverschwörung ist europäischen Ursprungs und hat mit dem
traditionellen Bild vom Juden im Islam nichts gemein. Auf Massenebene wurde
dieses Phantasma erstmals zwischen 1939 und 1945 im Kontext der Nazipropaganda
in die arabische Welt transferiert.
Im Zentrum dieser Propagandakampagne war ein Rundfunksender der Nazis, von dem
heute kaum jemand etwas weiß. Seit der Olympiade von 1936 stand in
Zeesen, einem Ort südlich von Berlin, der damals leistungsstärkste
Kurzwellensender der Welt. Seit 1939 sendete dieser Sender täglich ein
arabischsprachiges Programm, das für das Auswärtige Amt
absoluten Vorrang hatte und etwa achtzig Mitarbeiter
beschäftigte. Kein anderer Sender erfreute sich zwischen 1939 und 1945,
als man in der arabischen Welt dem Radio vorzugsweise auf öffentlichen
Plätzen oder in Basaren und Kaffeehäusern lauschte, einer
größeren Beliebtheit als dieser Nazi-Sender, der seit 1941 unter der
Leitung des Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, stand. Hier wurden
antisemitische Hetzbeiträge geschickt mit Zitaten aus dem Koran und
arabischen Musikbeiträgen vermischt. Hier wurden die Alliierten des
Zweiten Weltkriegs als von Juden abhängige Mächte
gezeichnet und den Zuhörer das Bild von den Vereinten Jüdischen
Nationen eingetrichtert. Hier wurden alle Araber, sofern sie mit
Zionisten auch nur verhandeln wollten, verhöhnt. Der Sprecher von
Radio Berlin bezeichnete [den jordanischen König] Amir Abdallah
regelmäßig als ,Rabbi Abdallah, berichtete der
spätere BBC-Journalist Nevill Barbour. Es war nicht gerade leicht,
die Nazipropaganda über die jüdische Heimstätte in
Palästina zu kontern.
(13)
Nicht minder wichtig ist Punkt zwei, das ideologische Neuland, das der Mufti
von Jerusalem in seinen unzähligen Rundfunkansprachen betrat. Hier wurde
erstmals der europäische Antisemitismus in einen originär islamischen
Kontext übersetzt. Leider wissen nur wenige, dass die Feindschaft
zwischen Islam und Judentum nicht neueren Datums ist, schrieb der Mufti
in seinen Vorwort zur Broschüre Islam und Judentum, die das
Auswärtige Amt Anfang der 40er Jahre in mehreren Sprachen verbreiten
ließ.
(14) Mit dieser Feststellung hatte el-Husseini zweifellos
recht. Die judenfeindlichen Suren des Koran und Erzählungen aus dem Hadith
waren im Laufe der Jahrhunderte vollständig in Vergessenheit geraten. Erst
im Kontext der arabischen Nazipropaganda über Radio Zessen wurden die in
der Literatur verstreuten Hassbotschaften gebündelt, wachgerufen und bei
jeder Gelegenheit zitiert. So hatte die klassische islamische Literatur auch
Mohammeds Kampf mit den medinischen Juden stets als relativ
geringfügige Episode im Leben des Propheten (behandelt), die ohnehin mit
deren vollständiger Niederlage endete.
(15) Nun aber stellte
der Mufti unter dem Einfluss des Nationalsozialismus Mohammeds Konflikt mit den
Juden als ein absolut zentrales Thema aus dessen Lebensgeschichte heraus. Nun
wurde der feindseligen Haltung der medinischen jüdischen Stämme dem
Propheten gegenüber eine geradezu kosmische Bedeutung zugeschrieben. So
wurde in Kooperation zwischen Nazi-Deutschland und dem Mufti ideologisches
Neuland betreten und durch Verzerrung die islamischen Geschichte und durch
Manipulation der islamischen Texte das ideologische Kernstück des
Islamismus ein originär islamischer Antisemitsmus kreiert.
Drittens hatte Nazideutschland die Ursprungsbewegung des Islamismus,
ägyptische Muslimbruderschaft, schon Ende der 30er Jahre als
antiwestlichen Verbündeten entdeckt und dementsprechend protegiert.
Begeistert berichtete 1939 Giselher Wirsing, ein führender Journalist und
SS-Funktionär im Dritten Reich, nach einem Ägypten-Besuch von der
Rückwendung zu den religiösen Überlieferungen des
Islams und einer scharfe(n) Gegenerschaft gegen den westlichen
Liberalismus. .... Die neue Entwicklung in Ägypten
zeigt, wie stark
diese Theokratie sich nach der Überwindung des ersten liberalistischen
Ansturms wieder zu beleben vermag.
(16) Bevorzugt wurde nun die
Muslimbruderschaft mit Nazi-Geldern unterstützt. Aus Dokumenten, die man
in der Wohnung des Direktors des Deutschen Nachrichtenbüros in Kairo,
Wilhelm Stellbogen, sicherstellte, geht hervor, dass die
Muslimbruderschaft vor Oktober 1939 Subventionen vom DNB erhielt. Stellbogen
war am Transfer dieser Gelder an die Bruderschaft beteiligt, deren Summe
beträchtlich höher lag als die Beträge, die anderen
antibritischen Aktivisten angeboten wurden, berichtet Brynjar Lia in
seiner Monographie über die Moslembruderschaft. Diese Geldtransfers
scheinen von Hadj Amin el-Husseini und einigen seiner palästinensischen
Kontaktpersonen in Kairo
koordiniert worden zu sein.
(17)
Diese Zuwendungen gestatteten es der Muslimbruderschaft, eine Druckwerkstatt
mit 24 Beschäftigten zu etablieren und mit modernsten Propagandamitteln
einem Antisemitismus Ausdruck zu verleihen, in dem der europäische Topos
der Weltverschwörung mit authentischen Versatzstücken aus der
islamischen Überlieferung zusammenkam.
Der neue Krieg
Zurück zu Josef Joffe und seiner nur allzu berechtigten Warnung vor einem
Appeasement im Vorfeld des schon begonnen und noch drohenden Kriegs. Noch kann
von Weltkrieg nicht wirklich gesprochen werden, ist doch die Zuordnung der
Europäer noch nicht ganz klar: Stehen sie auf der Seite der USA gegen den
Islamismus oder auf der Seite des Islamismus gegen die USA? Die Erforschung und
Benennung der historischen Beziehung zwischen Islamismus und NS dürfte
mehr als jede plakative Formel dazu beitragen, die ideologischen Konturen der
vor uns liegenden weltpolitischen Auseinandersetzung zu verstehen. Denn heute
geht es nicht mehr allein um die Spuren, die der NS im islamistischen Denken
hinterlassen hat. Es geht gleichermaßen um die Spuren, die der
islamistische Hass auf freedom & democracy mittlerweile im
alten Europa und besonders in den post-nationalsozialistischen
Gesellschaften hinterlässt.
_________________________________
Für Anregung und Kritik bedanke ich mich bei Ulrike Becker, Klaus
Thörner, Michael Spaney und Jürgen Starck.
Im März 2005 von der Zeitschrift Phase 2 veröffentlicht.
Anmerkungen
(1)
Der Koran enthällt mehr antijüdische als projüdische
Sprüche. Dennoch könnte, wer dies wollte, Israels staatliche Existenz
mit Sure 7, Vers 137 (und einem knappen Dutzend weiterer Suren dieser Art)
begründen: Und zum Erbe gaben Wir dem Volk, das für schwach
erachtet war, den Osten und Westen der Erde, die Wir gesegnet hatten, und
erfüllt ward das schöne Wort deines Herrn an den Kindern Israel,
darum dass sie standhaft geblieben. Und Wir zerstörten die Werke und
Bauten Pharaos und seines Volkes. In den populären islamistischen Koranauslegungen tauchen diese
Verse freilich nie auf. Siehe zur Historie des koranischen Antijudaismus: Johan
Bouman, Der Koran und die Juden, Darmstadt 1990.
(2) Robert Spencer, The Rape Jihad, in: FrontPageMagazine.com, September 24,
2004.
(3) Zitiert nach: Zeev Sternhell, Faschistische Ideologie, Berlin 2002, S. 61f.
(4) Wolfgang Driesch, Islam, Judentum und Israel. Deutsches Orient-Institut,
Mitteilungen Band 66, Hamburg 2003, S. 76f. Das Hitler-Zitat stammt aus
Mein Kampf, München 1934, S. 70.
(5) Stephen Eric Bronner, Ein Gerücht über die Juden. Die Protokolle der Weisen von Zion und der alltägliche Rassismus (Berlin, 1999), pp. 129ff
(6) Vgl. Galloping anti-Semitism, in: Washington Post, November 16, 2002, sowie M.
Küntzel, Von Zeesen bis Beirut. Nationalsozialismus und Antisemitismus in
der arabischen Welt, in: D. Rabinovici, U. Speck und N. Sznaider (Hg), Neuer
Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt/M. 2004, S. 271-293.
(7) 1996 soll die jüdische Gemeinde im Iran 35.000 Mitglieder umfasst haben.
Siehe Henner Fürtig, Die Bedeutung der iranischen Revolution von 1979 als
Aufgangspunkt für eine antijüdisch orientierte Islamisierung, in: W.
Benz, (Hg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung 12, Berlin 2003, S.
73-98.
(8) Zitiert nach M. Küntzel, Djihad und Judenhass, in: Jungle World, 27.
November 2002, S. D2.
(9) Zit. nach Driesch, a.a.O., S. 57.
(10) Es seien aber die Juden, heißt es im Anschluss an diese Passage,
die in all ihren unterschiedlichen Formen und Verkleidungen die Macht
über eure Medien, eure Politik, und eure Wirtschaft gewonnen haben und nun
alle Aspekte eures Lebens beherrschen. Sie machen euch zu ihren Dienern und
verfolgen ihre Ziele auf eure Kosten. (Vgl. Bin Ladens letter to America, in: Observer, November 24, 2002.)
(11)
Paul Berman, Terror und Liberalismus, Hamburg 2004, S. 11; Clemens Nachtmann,
Kapitulation des Intellekts, in: Bahamas 37 (Winter 2002), S. 31; Alice
Schwarzer im Interview mit der Schweizer Zeitung Sonntagsblick, 14. November 2004.
(12) Derzeit gehöre ich zu den wenigen, die diese Zusammenhänge
systematisch zu erforschen suchen. Sozialwissenschaftler/innen und
Arabist/inn/en, die sich hieran beteiligen wollen und/oder für ihre
Examens- oder Doktorarbeit noch ein gutes Thema suchen, sind herzlich
eingeladen, sich mit mir in Verbindung zu setzen:
MatKuentzel@aol.com
(13) Nevill Barbour, Broadcasting to the Arab World. Arabic Transmissions from the
B.B.C. and Other Non-Arab Stations, in: Middle East Journal, Vol. V, Winter 1951, S. 65.
(14)
Zani Lebl, Hadz-Amin i Berlin, Beograd 2003, S. 181/182.
(15) Bernard Lewis, Treibt sie ins Meer!, Frankfurt/M. 1987, S. 151.
(16) Giselher Wirsing, Engländer Juden Araber in Palästina,
Leipzig 1942, S. 136f.
(17)
Brynjar Lia, The Society of the Muslim Brothers in Egypt, Reading 1988, S.
175.