Die Redaktion
Einleitung
Man muss nicht der Verfasser breit angelegter Studien zu Fremdenfeindlichkeit
sein, um die nicht abnehmende Präsenz von Rassismus, Antisemitismus und
anderen menschenfeindlichen Ideologien im deutschen Alltag und nicht nur
dort wahrzunehmen. Sei es die Hetzjagd auf ausgemachte Fremde im
sächsischen Mügeln, die Pöbeleien und Angriffe auf jüdische
Schüler in Berlin oder auch schlicht die geringe Wahrnehmbarkeit von
Menschen anderer Hautfarbe als der weißen in öffentlichen
Ämtern, Medien und sozialen Zusammenhängen all dies
unterstreicht die stete Aktualität diskriminierender Denk- und
Handlungsweisen und die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung.
Nur ist es ja aber leider nicht so, dass mit einem simplen Seid nett
zueinander! Habt keine Vorurteile! Begegnet euch mit Respekt und Anerkennung!
oder dem allgegenwärtigen Ruf nach mehr Toleranz die ganze Geschichte
erledigt wäre. Zwar haben diese Forderungen ihre uneingeschränkte
Berechtigung, doch sollte dabei nicht der Fehler gemacht werden, alle
diskriminierenden Ideologien nach dem schlichten Motto Alles was
böse ist in einen Sack zu stecken. Werden die Unterschiede und die
jeweils spezifischen Feindbilder zwischen ihnen verwischt, so verschwimmt auch
eine Analyse ihrer Ursachen und mit ihr eine treffende Kritik. Dieser
springende Punkt gewinnt seine Relevanz nicht zuletzt dadurch, dass das Ende
von Rassismus und Antisemitismus nicht allein eine Frage richtiger Argumente
und pädagogischer Überzeugungsarbeit ist, sondern letztendlich die
Abschaffung der Ursachen menschenfeindlicher Ideologien sein muss.
Das Heft, welches du in den Händen hältst, entstand daher aus der
Intention, eine zeitlose und umfangreiche Kritik jener Denkweisen zu liefern.
So war es uns hierbei eher wichtig, eine breite und vielschichtige
Auseinandersetzung zu dokumentieren, als eine einheitliche inhaltliche
Stoßrichtung in allen Beiträgen.
Die
Essentials der Antisemitismuskritik geben eine einführende
Kritik in die altbekannten Denkmuster des modernen Antisemitismus und versuchen
ansatzweise zu erklären, warum die bürgerliche Gesellschaft mit ihren
universellen Versprechen von Freiheit und Gleichheit nicht nur geschichtlich
ein politisches Instrumentarium zur Gleichberechtigung von Juden hervorbrachte,
sondern auch durch die komplexen und abstrakten Mechanismen ihrer Ökonomie
stets die Ideologie des Antisemitismus als einfache Welterklärung
produziert. Oder, um ein Zitat von Max Horkheimer aus dem Text anzuführen:
So wahr es ist, dass man den Antisemitismus nur aus unserer Gesellschaft
heraus verstehen kann, so wahr scheint es mir zu werden, dass heute die
Gesellschaft selbst nur durch den Antisemitismus richtig verstanden werden
kann.
Dieser Gedanke wird von Moishe Postone in seinem Text
Nationalsozialismus
und Antisemitismus noch weiter vertieft. Seine bereits 1991
veröffentlichten Überlegungen zu diesem Thema waren richtungsweisend
für eine materialistische Kritik des Antisemitismus.
Wie sehr in anderer Art und Weise auch der klassische Rassismus, der seine
Opfer als triebgesteuerte Untermenschen deklassiert, mit den Gesetzen der
kapitalistischen Gesellschaft zusammenhängt und aus ihnen hervorgeht, ist
u.a. Gegenstand des Beitrags
Schwarz Weiß Rot
Gold. Dies wird historisch ebenso wie logisch an vielen verschieden
antirassistischen Theorien erklärt, immer auch darauf bedacht, die
Sonderrolle Deutschlands in diesem Fall nicht zu vergessen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Roswitha Scholz mit dem Text
Homo Sacer und ,Die Zigeuner'. Anhand des vergessenen Rassismus
gegenüber den Sinti und Roma in Europa dem Antiziganismus
führt sie ausführlich aus, warum sich die Herabwürdigung Anderer
als Menschen zweiter Klasse nicht nur auf sog. Exoten, also Menschen in
anderen Teilen der Welt bezog, sondern ebenso schrecklich und teilweise
brutaler auch an innereuropäischen Gruppen selbst vollzogen wurde.
Weiterhin wäre es falsch, jene Kritik von Rassismus und Antisemitismus auf
die Ressentiments und Feindbilder des wuchernden Juden, des faulen
Negers, des kriminellen Zigeuners usw. usf. zu beschränken. Die
konkreten Erscheinungen menschenfeindlicher Ideologien und die Menschengruppen,
an denen sie sich entladen, wandeln und wandelten sich mit ähnlicher
Geschwindigkeit, wie es die Gesellschaft selbst auch tut.
Der Text
Von Antijudaismus zum Antisemitismus geht in diesem Kontext
historisch noch ein paar tausend Jahre zurück und erklärt, warum es
zwar schon seit Ewigkeiten eine breite Feindschaft gegenüber den Juden in
Europa gab, die Inhalte und Ursachen dafür aber verschieden waren. Im
Gegensatz zum modernen Antisemitismus, der die Juden vorwiegend mit
ökonomischer Macht in Verbindung bringt, war der jahrtausende alte
Antijudaismus als sein Vorreiter nämlich vorwiegend religiös
motiviert.
Auf die Gegenwart bezogen, muss man jedoch festhalten, dass jene
Zuschreibungen, welche bspw. die Nazis für die Juden prägten
kulturlos, geldbesessen, auf die Weltherrschaft aus heute in
ähnlich platter Weise von antiimperialistischer Seite gegenüber den
USA wahrgenommen werden können. Warum jenes Ressentiment nicht im
Geringsten etwas mit einer Kritik des Kapitalismus zu tun hat, ist so zum
Beispiel Gegenstand des Textes
Antiamerikanismus ist kein
Antikapitalismus.
Der Antiimperialismus macht an diesem Punkt besonders deutlich, dass es ein
fataler Fehler wäre, antisemitische Positionen als ein Problem der Rechten
abzutun. Die offene Solidarität mit der Hamas, der Hisbollah u.a. in der
Feindschaft gegen die USA und Israel zeigt, dass islamistische
Terrorvereinigungen auch oft von linker Seite nicht als antisemitische
Mörder, sondern als antiimperialistische Freiheitskämpfer gegen
die Besatzer dargestellt werden. Matthias Küntzel behandelt in
Islamismus, Faschismus und NS daher noch einmal genau die Parallelen
zwischen der heutigen islamistischen Massenbewegung und den
Nationalsozialisten. Vor allem in ihrem unbedingten Willen zur Vernichtung,
ihrem wahnhaften Weltbild und ihrer Verehrung des Todes müssen die
Djihadisten wohl als größte Bedrohung des 21. Jahrhunderts
ausgemacht werden.
Bevor das Heft mit einem Klassiker unter den Flugblättern zur Entstehung
und Bedeutung des beliebten Terrorlappens dem Palituch
endet (
Ist dir kalt oder hast du was gegen Juden?) bildet die
Rezension
des Films Shoah von Claude Lanzmann noch eine Mahnung, die leidvolle
Erfahrung der Judenvernichtung durch die Nazis nicht zu vergessen, die durch
ihre historische Einzigartigkeit einen Bruch mit Menschheit an sich darstellt.
Denn bei aller theoretischen Beschäftigung mit dem Thema und bei allen
noch so aussagekräftigen geschichtlichen Dokumenten, darf man nicht der
Illusion verfallen, man könne Auschwitz irgendwie erschöpfend
begreifen oder beschreiben. Nur die rationale Distanz zum Thema macht
beschreibbar, was im Nationalsozialismus für Grausamkeiten geschahen; eine
Distanz die dadurch zwangsläufig das Wesen ihrer Beschreibung verfehlen
muss.
Wir hoffen, in dieser Broschüre zeitlose, aber aktuelle Themen in einer
Textsammlung untergebracht zu haben, welche die Brisanz der Auseinandersetzung
mit Rassismus und Antisemitismus unterstreicht. Bitte schreibt uns Emails mit
Anregungen, Kritik oder auch Lob an
interventionen@conne-island.de und helft
durch Verteilen und Weiterverbreitung dieses Heftes viele Menschen für die
Wichtigkeit dieser Themen zu sensibilisieren.